Eine gemeinsame Grenze?

Es gab kaum ein Thema, über welches in den Ländern des Westens im letzten Jahrzehnt erbitterter gestritten wurde, als die Einwanderungspolitik.

Von Grenzen war die Rede, von Zäunen und Mauern, von Seenotrettern und Schleuserbanden, von Heimat und dem Recht, sein Glück in fremden Landen zu suchen.

Dabei lassen sich, grob gesehen, zwei Hauptlager ausmachen. Zum einen gibt es diejenigen, welche der Einwanderung aus fremden Ländern kritisch gegenüberstehen, die Vorteile einer homogenen Gesellschaft betonen und grundsätzliche eher unilateral, sprich auf die Handlungsfähigkeit der eigenen Nation bedacht, eingestellt sind. Die zweite Gruppe besteht aus jenen, welche die Vorteile der Einwanderung und des kulturellen Austauschs in den Vordergrund stellen und häufig multilaterale Lösungen bevorzugen. Sie möchten Probleme also durch die Kooperation verschiedener Länder gemeinsam bearbeiten.

Dies zumindest ist die allgemeine Interpretation der gegensätzlichen Standpunkte.

Es gehört jedoch zu den merkwürdigen Eigenschaften dieser Diskussion, dass beide Gruppierungen, in Bezug auf die Einwanderungspolitik, oft erstaunlich provinziell denken. Zwar gibt es innerhalb der Europäischen Union Bemühungen, dieses Thema gemeinsam zu behandeln, aber haben Sie je von einem Vorschlag gehört, die Einwanderung in die USA und Kanada mit jener in die EU zu verzahnen? Etwa mit einem klaren Leitfaden, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um in eines der Ländern einwandern zu können? Etwas weiter ausholend (und auch etwas provokant) könnte man sich auch die Frage stellen, wieso dann nicht auch Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland gleich miteinbezogen werden?

Hier gibt es einen großen Bereich, in welchem internationale Kooperation noch viel erreichen kann.

Dafür sollte das Problem jedoch anders angegangen werden. Oft wird von der Verpflichtung gesprochen, „den Geflüchteten“ zu helfen. Dabei sagt die Beschreibung zunächst einmal nichts anderes aus, als dass eben jene Menschen nicht mehr an dem Ort sind, an welchem sie zuvor waren, mutmaßlich in ihrer „Heimat“.

Daraus jedoch ergeben sich zwei Fragestellungen:

1. Warum sollte der Fokus nur auf jenen liegen, die „geflüchtet“ (fortgelaufen) sind?

2. Warum müssen sich diese erst physisch in Bewegung setzen, um als Flüchtlinge erkannt zu werden?

Das lässt sich leicht anhand eines kleinen Beispiels verdeutlichen. Nehmen wir an, ein Bewohner Eritreas möchte sein Land verlassen, da dieser durch die Umstände vor Ort keine Möglichkeit hat, sich und seiner Familie ein würdevolles Leben zu ermöglichen.

Was muss er tun?

Zunächst einmal benötigt er erhebliche finanzielle Mittel, welche er und seine Verwandtschaft herbeischaffen müssen. Dann muss er, vermutlich illegal, sein Land verlassen und in den Sudan einreisen. Dort wird er dann nach Wegen suchen, um nach Libyen zu gelangen, wiederum durch teure Schlepper. Anschließend muss er quer durch die Wüste bis zum Mittelmeer, um von dort erneut durch Schlepper übers Meer gebracht zu werden. Wenn er viel Glück hatte, wird er am Ende in der Europäischen Union angekommen sein, und wenn er noch mehr Glück hatte, darf er sogar bleiben.

Aus logistischer und humanitärer Sicht ist nicht leicht nachzuvollziehen, warum er nicht spätestens im Sudan in einen Flieger steigen und nach Europa fliegen kann.

Warum also dieser umständliche Weg?

Ein entscheidender Fehler liegt in dem juristischen Gerüst, nach welchem wir die Flüchtlingspolitik ausrichten. Diese sind allesamt darauf ausgelegt, uns mit denjenigen Menschen zu beschäftigen, welche bereits aus ihren Heimatorten geflohen sind. Je nach Rechtsgrundlage dürfen sie dann fliehen und müssen von dem Staat, in welchem sie ankommen, aufgenommen werden (Genfer Konvention), oder sie werden davon durch eine „sichere Drittstaaten“ Klausel befreit, welche diese Aufgabe einem anderen Staat aufbürdet, welcher geografisch zwischen beiden Gebieten liegt.

Durch diese Bedingungen ist jemand, der vor einem Krieg oder anderen Katastrophen fliehen möchte, darauf angewiesen, sich auf diesen Weg zu begeben, welcher häufig lang und sehr gefährlich ist. Was zunächst recht banal klingt, hat eine entscheidende Konsequenz für die europäische (aber auch amerikanische) Flüchtlingspolitik.

Damit Flüchtlinge in Europa ankommen und registriert werden können, brauchen wir Schlepper, und wir brauchen Menschen, welche ihr Leben aufs Spiel setzen, um bis hierher zu gelangen. Wären die Routen durch die Sahara, den Balkan oder jene übers Mittelmeer geschlossen, kämen Geflüchtete nicht bis zu unserem „Wahrnehmungskreis“ und wären danach auch schnell „nicht mehr unser Problem“.

Dass diese, im Grunde eine überdimensionierte Ellis-Island Taktik, im 21. Jahrhundert überholt sein sollte, dürfte langsam offensichtlich sein. Warum sollten Millionen von Menschen mit alten Bussen quer durch die Welt fahren, wenn sie offensichtlichen Asylanspruch haben? Warum sollten sich Menschen der Gefahr einer Bootsfahrt übers Mittelmeer aussetzen, wenn sie ohnehin keine Chance besitzen, auf dem europäische Kontinent zu bleiben?

Die entscheidende Frage also lautet, wie wir es schaffen, dass bestimmte Leute mit dem Flieger nach Europa reisen können, während anderen erst gar kein Anreiz mehr gegeben wird, dies zu versuchen?

Dazu bedarf es einer doppelten Strategie. Zum einen sollten, um Immigranten, welche in Europa kein Bleiberecht hätten, abzuhalten, die Grenzkontrollen strikt durchgesetzt werden, inklusive Rückführungen. Dies ist ein integraler Bestandteil, da ansonsten der Zustrom nicht abreißen wird und für den Fall, dass sie aus irgendwelchen Gründen doch in der Europäischen Union verweilen können, anderen Bewohnern ihrer Heimatländer ebenfalls ein Anreiz gegeben wird, nicht über ein offizielles System einzureisen.

Wie also könnte dieses offizielle System aussehen?

Wie bereits erwähnt, sollten die Entfernungen, welche Flüchtende zurücklegen müssen, möglichst kurz und irgendmöglich sicher gehalten werden. Dazu bedarf es eines Systems an Institutionen, welche über den Globus verteilt aufgebaut werden müssten, beispielsweise angeschlossen an die Botschaften der europäischen (oder generell OECD) Staaten. Einzelne Länder oder auch die Europäische Union gemeinsam dürften damit weit überfordert sein, aber in Kooperation mit den Eingangs erwähnten ostasiatischen und nordamerikanischen Staaten könnten große Teile der Welt abgedeckt werden.

Über diese Institutionen könnten dann die jeweiligen Länder bzw. die weitere Region beobachtet und Systeme entwickelt werden, welche

1. Personen dahingehend prüfen kann, ob diese ein Anrecht auf Asyl oder eine andere Form von Aufenthaltsrecht in den teilnehmenden Staaten haben und

2. eine Kooperationsbasis zur Unterstützung der regionalen Flüchtlinge bieten können.

Ein gemeinsame Basis zur Kontrolle der Immigration hätte dabei den großen Vorteil, dass, durch die große Ausbreitung der einzelnen Kontrollstellen, einem viel größeren Teil der Menschheit als bisher einer Gelegenheit gegeben werden kann, Asylanträge zu stellen. Dabei müssen sie zudem eine für gewöhnlich kürzere und auch weniger gefahrvolle Reise unternehmen, welche zudem noch deutlich günstiger sein dürfte.

Ein solches System hätte natürlich weitreichende Konsequenzen für das Verständnis internationalen Rechts. So wäre zwar einerseits die Drittstaatenklause hinfällig und würde abgelegenen Nationen keine Möglichkeit mehr bieten, die Asylaufnahme mit dem Verweis auf fehlende Immigranten an der eigenen Ländergrenze abzutun. Andererseits wäre jedoch auch der Grundsatz, nach welchem im bisherigen Europa Asyl gewährt wird, nicht mehr haltbar, da die Anzahl der Berechtigten wohl schnell zu groß werden dürfte.

Damit würden jedoch lediglich die heute real herrschenden Verhältnisse deutlicher zutage treten, welche derzeit durch die Strategie des Asylantrags direkt im Aufnahmeland verdeckt werden.

Sinnvoller wäre hier ein System, welches

1. möglichst vielen bedrohten Menschen die Aussicht auf ein würdevolles Leben ermöglicht und

2. den wohlhabenden Ländern einen Anreiz bieten, sich für dieses Ziel einzusetzen.

Damit könnte die gesamte westliche Flüchtlingspolitik effizienter und humaner gestaltet werden, da die im Grunde überflüssigen und gefährlichen Reisen unterbunden werden. Es hätte zudem noch den psychologischen Effekt, durch die permanente hohe Belastung, welcher dieses System zweifellos ausgesetzt wäre, den Blick der wohlhabenden Gesellschaften auf diese Probleme zu lenken, viel stärker, als dies bisher der Fall gewesen ist.

Es gehört zu den Charakteristiken unserer Zeit, dass Staaten wieder beginnen, offen auf dem Staatsgebiet anderer Nationen zu handeln, sei dies über Militärstützpunkte, verbündete Milizen oder Handelsposten. Gerade auf einem Gebiet, in welchem es so wichtig ist, das Verhalten anderer Nationen mit einzubeziehen, sollte dies ebenfalls geschehen. Dabei könnten die Industrienationen zeigen, dass dies nicht nur auf militärischem Wege nützlich sein kann.

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