Als sich 1955 im indonesischen Bandung Delegierte aus 29 Staaten Afrikas und Asiens trafen, um sich über internationale Kooperation in Zeiten des gerade begonnenen Kalten Krieges zu beraten, wählten sie für sich selbst die Bezeichnung der Dritten Welt. Damit sollte unterstrichen werden, dass sich diese Staaten, welche sich unter Einschluss vieler weiterer Länder 1961 in der Bewegung der Blockfreien Staaten versammelten, nicht auf eine der beiden Seiten des Kalten Krieges ziehen lassen wollten.
Könnte eine ähnliche Entwicklung heute, angesichts der zunehmend konfrontativen Haltung zwischen den USA und China, ebenfalls erfolgen?
Dazu sollten zunächst einmal zwei entscheidende Unterschiede zwischen dem „ersten“ Kalten Krieg und dem neuen kalten Krieg betont werden. Diese bestehen erstens in der Entstehung eines gemeinsamen, globalen Marktes, welcher sowohl die USA als auch China involviert und nicht leicht auszuhebeln sein dürfte. Dies ist ein signifikanter Unterschied zu den diametral entgegen gesetzten Wirtschaftsystemen des Kommunismus und des Kapitalismus.
Der zweite große Unterschied besteht, aus dem ersten resultierend, in dem fehlenden ideologischen Gegensatz zwischen den beiden Staaten. Zumindest auf wirtschaftlicher Ebene repräsentieren beide Länder lediglich verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus. Und da für beide Weltmächte die innere Sicherheit und Stabilität die Hauptaufgabe in den kommenden ein bis zwei Jahrzehnten darstellen wird, könnten in dieser Hinsicht sogar die Gemeinsamkeiten überwiegen.
Wie könnte unter solchen Vorbedingungen also eine neue Gruppierung von blockfreien Staaten aussehen?
Das Schlachtfeld
Einen Hinweis auf diese Antwort könnte die Frage liefern, welche Länder sich nicht in der Lage befinden, eine Politik der Blockfreiheit zu betreiben. Dabei wird bereits deutlich, dass die Situation gänzlich anders geartet ist als im ersten Kalten Krieg, als viele Staaten in ihren vitalen Interessen von einer der beiden Großmächte in vollkommene Abhängigkeit gerieten. Dies ist heute fast nirgendwo der Fall.
Die beiden zentralen Schauplätze sind heute, wie schon damals, zum einen der europäische Kontinent, zum anderen die Länder Ostasiens, also die beiden Enden des eurasischen Kontinents.
Die Staaten Westeuropas waren von den 40ern bis Ende der 80er in sicherheitspolitischen Fragen an Washington gebunden, und auch ihre Wirtschaft wurde maßgeblich von den Amerikanern angetrieben. Die osteuropäischen Regime ihrerseits mussten des öfteren von Moskau gestützt werden, um überlebensfähig zu bleiben.
Heute sieht die Situation anders aus. Zwar ist das amerikanische Militär immer noch unabdingbar, das liegt aber viel mehr an der europäischen Untätigkeit als an außenpolitischer Notwendigkeit. Und in wirtschaftlicher Hinsicht sind die USA natürlich weiterhin dominant, aber auch China ist mittlerweile zu wichtig, als dass es einfach zu ignorieren wäre, wiederum im Gegensatz zur Wirtschaft der Sowjetunion.
In Ostasien ist die Ausgangssituation in wirtschaftlicher Hinsicht ähnlich, jedoch sind Staaten wie Südkorea, Vietnam und insbesondere Taiwan von der militärischen Präsenz der USA abhängig, auch wenn nur letzteres ernsthaft einen Angriff seitens Chinas zu befürchten hat. Interessant dürften hier eine Reihe von Staaten werden, welche sich in einer Pendelposition zwischen beiden Mächten befinden, namentlich Myanmar, die Philippinen und womöglich auch bald Nordkorea.
Wenn es also praktisch keine festen Blöcke gibt, wie hat eine blockfreie Politik dann auszusehen?
Andere Zeiten
Es gehört zu den merkwürdigen Eigenschaften der heutigen Diskussionen, zum einen auf den Beginn eines neuen kalten Krieges zu verweisen, um ein neues Modell zur Beschreibung der Weltpolitik zu finden, während gleichzeitig die Analogie zum Ersten Weltkrieg gezogen wird, um auf die Gefahr eines neuen, „heißen“ Krieges hinzuweisen.
Tatsächlich wurde vor dem Ersten Weltkrieg die globale Ordnung, ähnlich wie heute, von einer liberalen Macht dominiert, damals vom Britischen Empire, heute von den USA. Die Wirtschaft war in hohem Maße globalisiert, und der Anteil des Außenhandels am Gesamteinkommen der Nationen war nie zuvor so hoch wie 1913 und sollte auch danach Jahrzehnte brauchen, um ähnliche Werte zu erreichen.
Es waren also machtpolitische statt wirtschaftlicher Gründe, welche zum Ausbruch des Krieges führten. In dieser Hinsicht lässt sich die Situation durchaus mit der heutigen vergleichen, wo die Gefahr ebenfalls aus dieser Richtung erwächst. Doch was bedeutet dies für eine potenzielle blockfreie Bewegung?
Da es aus wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn macht, nur auf eine der beiden Seiten zu vertrauen, wird es eine blockfreie Bewegung wie im Kalten Krieg nicht geben. Die wirtschaftlichen Verflechtungen werden wohl, trotz mancherlei Zölle und Sanktionen, weiterhin bestehen bleiben und die Staaten der Welt dazu bewegen, sich mal der einen, mal der anderen Seite zuzuneigen.
Der Krieg ist der Vater aller Dinge, und dies gilt insbesondere in der internationalen Politik. Paradoxerweise könnte ausgerechnet die Abstinenz eines kalten Krieges die Gefahr einer größeren Konfrontation erhöhen, da es keine zwei Ordnungsmächte mehr gibt, welche alle Konflikte eindämmen und untereinander aushandeln können.
So wird die Tatsache der Blockfreiheit zur Bedrohung, die wohl erst aufgehoben wird, wenn die Eskalation bereits im Gange ist.