Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands war in diesem Jahr die erste Partei, welche eine fertiges Wahlprogramm vorlegen konnte. Dabei ist die SPD derzeit in einer schwierigen Situation. In den letzten Bundestagswahlen hat die altgediente Arbeiterpartei ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Gründung der Bundesrepublik hinnehmen müssen, dazu gibt es alle paar Jahre einen mittlerweile eingeübten Führungswechsel innerhalb der Partei, welcher die großen Charakterköpfe fehlen. Dies schlägt sich auch in den neuen Umfragewerten nieder, welche ein noch schlechteres Ergebnis als vor vier Jahren erwarten lassen.
Auch in der Formulierung einer neuen Politik hat die Partei mit ganz spezifischen Problemen zu kämpfen. So ist sie, mit einer kurzen Unterbrechung von 2009 bis 2013, seit 1998 an der Regierungsmacht beteiligt. Konnte sie unter Schröder bis 2005 noch den Kanzler stellen und die Regierungsarbeit maßgeblich bestimmen, war sie in den anschließenden Koalitionen lediglich der Juniorpartner der CDU unter Merkel, welche die Erfolge der jeweiligen Regierung stets geschickt als ihre darzustellen wusste. In der Außenpolitik ist dieses Problem sogar noch ein wenig größer, stellt die SPD schließlich seit 2013 den Außenminister des Landes. Wie soll man unter solchen Vorzeichen glaubhaft eine Wechselstimmung verkörpern können, welche in der deutschen Außenpolitik unbedingt benötigt wird?
Die Strategie der Partei zielt dabei eindeutig in Richtung einer tieferen Einbettung in die Europäische Union. Dazu wurde das Ziel ausgegeben, die EU „zu einer echten Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion weiterentwickeln.“ Diese Vertiefung soll sich auch in der Außenpolitik niederschlagen. Dazu soll zunächst das Mehrheits- statt des jetzigen Einstimmigkeitsprinzips in der Außenpolitik angewandt werden. Langfristig soll es dafür auch ein eigenes europäisches Außenministerium geben. Dabei betrachtet die SPD die Europäische Union als eine „Friedensmacht“. Da sie bereits Deutschland als eine solche Friedensmacht betrachtet, scheint sie die EU als eine Verlängerung der deutschen Außenpolitik zu verstehen.
Dass die SPD auch auf die „Allianz des Multilateralismus“ hinweist, welche von ihrem Außenminister Heiko Maas initiiert wurde, ist verständlich. Allerdings muss man hierbei deutlich sagen, dass dieses vermeintliche Bündnis praktisch nichts erreicht hat in den knapp zwei Jahren seines Bestehens. Sollte dies als Vorbild für eine sozialdemokratische Außenpolitik gelten, ist leider nicht viel zu erwarten.
Auch zu verschiedenen Regionen und Ländern nimmt das Programm explizit Stellung. Auf die USA zum Beispiel wolle man „zugehen“, als ob es dort eine andere Option geben würde. Auch hier steht, wie bei anderen Parteien, von einem „Neustart“ der transatlantischen Beziehungen, durch welchen man auf verschiedenen Feldern miteinander zusammenarbeiten möchte. Von der Einhaltung der eigenen, vertraglich festgesetzten Bündnisverpflichtungen ist jedoch nichts zu finden, und das ist schließlich, auch nach Trump, der größte Streitpunkt zwischen Deutschland und den USA. Die ständigen Verweise auf die Bedeutung der EU nähren in diesem Fall den Verdacht, man nutze dies lediglich als eine Ausrede, um nicht selbstständig aktiv zu werden. Dieser Verdacht wird noch durch die Regierungsarbeit der letzten Jahre unterstützt.
In Bezug auf Russland hat die Partei traditionsgemäß eine weniger konfrontative Haltung als die meisten anderen Parteien. Dass es Frieden in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland geben kann, ist heute noch genauso gültig wie vor 50 Jahren. So erwähnt das Programm zwar die Rechtsbrüche Russland unter Putin und ist ebenfalls sehr kritisch gegenüber der weißrussischen Regierung, betont jedoch auch „die Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit“ mit Moskau. Konsequenterweise verfolgt sie auch eine neue Russlandpolitik der Europäischen Union und des gesamten Westens. Auch wenn ihr derzeitiger Außenminister scheinbar nicht diese Linie der Partei verfolgt, so ist doch zu hoffen, dass die SPD in den Beziehungen zu Russland eine Vorreiterrolle einnehmen könnte, welche dringend gebraucht wird.
Gegenüber China ist die SPD ähnlich kritisch wie die Grünen, verzichtet jedoch auch auf allzu moralisierende Formulierungen. Betont wir das gemeinsame Auftreten Europas gegenüber Peking und die Notwendigkeit, in vielen Fragen mit der Regierung in Peking zusammenarbeiten zu müssen. Auch zur türkischen Regierung ist man reserviert eingestellt, befürwortet aber einen intensiveren Dialog zwischen der Türkei und der Europäischen Union, um so auch einen gewissen Einfluss auf Ankara ausüben zu können.
In Bezug auf Israel wird zunächst deren „Sicherheit und Existenzrecht als Teil der Staatsräson Deutschlands“ hervorgehoben. Als Ziel wird eine Zweistaatenlösung angegeben, allerdings lehnt man jede Annexion von fremdem Territorium ab. Allerdings zeigen, außerhalb des Wahlprogramms, die Äußerungen von SPD-Außenminister Heiko Maas und Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans, dass in der Partei offenbar eine gewisse Hybris in Bezug auf den Nahostkonflikt und des deutschen Einflusses auf diesen vorhanden ist. So stellte Maas einen Drei-Stufen-Plan zur Deeskalation der Situation vor, der nur als lächerlich bezeichnet werden kann (1. Stopp des Raketenterrors; 2. ein Ende der Gewalt; 3. Gespräche über die Zweistaatenlösung). Walter-Borjans hingegen befürwortet zwar die weitere Waffenlieferung an Israel, formuliert als Bedingung dafür jedoch seinen „Anspruch, ein Stück gehört zu werden“, etwa um „sich einer Zwei-Staaten-Lösung zu öffnen“ oder „deeskalierend zu wirken“. Wie die beiden Politiker der Idee verfallen konnten, die deutsche Regierung hätte nennenswerten Einfluss auf das Geschehen vor Ort, bleibt mir persönlich schleierhaft. Die Mentalität der deutschen Weltpolitik aus wilhelminischen Zeiten scheint jedenfalls bis heute nachzuwirken.
Bleibt noch die Politik gegenüber den Regionen in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft. Hierbei betont man zunächst die Bedeutung eines guten Verhältnisses zum Vereinigten Königreich und bezeichnet das Land als „engen Freund der EU“, mit welchem langfristig „eine umfassende Partnerschaft“ angestrebt wird. Südlich und östlich der EU hingegen gäbe es viele Krisen und die wachsende Einflussnahme anderer Staaten, welcher man „durch eine konzeptionell neu ausgerichteten Nachbarschaftspolitik“ der EU begegnen müsse. Wieder drängt sich der Verdacht auf, die Formulierung der Außenpolitik werde auf die EU abgewälzt. Die Länder des Westbalkans sollten integriert werden, womit sie auf einer Linie mit den Grünen stehen und in Konflikt mit Frankreich geraten könnten. In Bezug auf Afrika findet sich lediglich ein Satz: „Die Partnerschaft zwischen Europa und Afrika wollen wir politisch und wirtschaftlich deutlich ausbauen und auf ein neues Level der Zusammenarbeit heben.“
Mitunter bekommt man beim Lesen des Programms den Eindruck, die SPD wähnt sich noch in Zeiten der Bonner Republik, als die Bundesrepublik Deutschland noch ein Grenzstaat des Westens gegenüber des Einflussgebiets der Sowjetunion war. Den Frieden halten und dadurch die Wiedervereinigung zu ermöglichen, dass war die grundlegende Ausrichtung der sozialdemokratischen Außenpolitik und bescherte ihnen auch eine der Glanzstunden ihrer Partei durch die neue Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr. Doch die Situation heutzutage ist eine gänzlich andere. Deutschland ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt und in vielerlei Hinsicht das stärkste und zentrale Land Europas. Dass Deutschland seine Außenpolitik nur in Kooperation mit seinen Europäischen Partnern durchzusetzen vermag, hat zuletzt das Beispiel der Nord-Stream 2 eindrucksvoll bewiesen. Die Lösung des Problems kann jedoch nicht darin liegen, die Initiative an die Institutionen der Europäischen Union abzutreten, zumal sie auf dem Gebiet bisher nur wenige Erfolge vorzuweisen hat. Die strategische Debatte muss auch innerhalb Deutschlands geführt werden, und es ist höchste Zeit, mit dieser zu beginnen.