Tripolis

Die Autoschlangen waren unvermeidlich. Wenn man an der Küstenstraße von Beirut Richtung Norden fährt, sind zum Glück jedoch nicht allzu viele Tankstellen auf dem Weg zu sehen, weshalb der Verkehr auch nicht zu sehr unterbrochen wird. Nur ein wenig. So erspare ich mir das stundenlange Warten in dem kleinen Minibus und kann stattdessen wieder Tripolis erkunden, der ersten Stadt des Landes, welche ich kennen lernen durfte.

Tripolis ist konservativer als die meisten anderen Städte des Landes, inklusive der Hochburgen der Hisbollah, Tyros und Sidon. Der überwiegende Teil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Islam an, die Stadt gilt auch als Hochburg des Ministerpräsidenten Hariri sowie der Unterstützer von Erdogans Türkei. Plakate, geziert mit seinem Konterfei, sind in einigen Vierteln oft zu sehen. Christen hat es hier auch einmal viele gegeben, das ist noch gar nicht lange her, das Hauptgeschäftsviertel der Stadt war noch vor zehn Jahren flankiert von einer armenischen Nachbarschaft. Heute steht deren Kirche zwar noch immer, wird auch immer noch besucht, aber außerhalb von ihr würde man nicht denken, dass Christen in der Stadt noch groß vertreten sind.

Tripolis, aus dem Griechischen für „drei Städte“, wird seinem Namen auch heute noch gerecht. Im Westen liegt Mina, der modernste und wohlhabendste, auch der liberalste Stadtteil. Es handelt sich dabei um eine Halbinsel, von drei Seiten durch das Mittelmeer umschlossen, und hier liegt auch der Hafen und davor eine kleine Insel, welche mit Boot schnell zu erreichen ist. Im konservativen Tripolis bietet sich hier die einzige Möglichkeit, im Meer ein Bad zu nehmen. Die Highlights Minas sind die Bars, liberale Oasen für weltoffene Menschen, und natürlich Fischgerichte, welche hier an viele Orten angeboten werden.

In den Vierteln Remmaneh und Azmi, am linken Ufer des Abou Ali Flusses liegend, schlägt das Herz der Stadt. Die Azmistraße ist die große Einkaufsmeile, die Modehäuser reihen sich hier aneinander, und in der Altstadt rund um Remmaneh liegen die Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Der riesige Souk, in welcher jeder Geschäftszweig seinen eigenen Bezirk besetzt. Es gibt die Schmuckhändler, eine Gasse nur mit Fleisch und Fisch, Gemüsehändler, Bäckereien, Handwerker, einen großen Innenhof für Seife und Parfüme. Auch die große Moschee sowie das Badehaus von den Osmanen liegen hier, am südlichen Ende der Altstadt wacht der Mons Peregrinus, die alte Burg der Kreuzfahrer, über den Fluss. Unter all den Epochen und den Herrschern, welche hier ihre Spuren hinterlassen haben, waren die Mamluken die bedeutendsten. Von 1289 bis zur Eroberung durch die Osmanen 1516 stand die Stadt unter der Kontrolle dieser ehemaligen Militärsklaven aus der Weite Zentralasiens, welche in Ägypten an die Macht gelangten und von dort aus weite Teile der arabischen Welt beherrschen konnten.

Im Osten schließlich liegt die dritte Stadt, Tabbaneh. Sie schiebt sich an den Hängen östlich vom Abou Ali in immer neue Höhen und gilt als Armenhaus der Stadt. Und damit auch des Libanon als Ganzes. An den Ufern des Flusses finden sich weit ausgreifende Märkte, mit Waren, welche selbst für die Verhältnisse in Tripolis ausgesprochen günstig sind. Wenn auch nicht so schlimm wie häufig dargestellt, ist die Armut hier doch überall zu sehen. Auch das Militär ist stets präsent, die Zugangsstraßen zu den Hügeln sind allesamt mit Militärposten belegt, die Stadt könnte im Notfall komplett abgeriegelt werden. Auch liegt hier die berüchtigte Syrische Straße, wo Sunniten und Alawiten, die Angehörigen der selben Geheimreligion wie der Assad-Clan in Syrien, sehr eng beieinander leben. Immer wieder kam es hier zu Ausschreitungen und Schießereien, und bei den diesjährigen Wahlen in Syrien war die Stimmung ausgesprochen angespannt. Jedoch blieb es ruhig, wie immer schon in den letzten Jahren, und ein vorsichtiger Optimismus ist durchaus angebracht angesichts der Verständigung und Kooperation von Mitgliedern aus beiden Konfessionen.

Das Bild von Tripolis hat sich stark gewandelt in den letzten Jahren. Bekannt nicht nur als ärmste Stadt des Libanon, sondern der wohl ärmsten des gesamten Mittelmeers, inklusive Gaza und den kriegsgeplagten Städten Libyens, konnte sie bis zum Ausbruch der Revolution 2019 eine Phase des wirtschaftlichen Wachstums und der gesellschaftlichen Stabilisierung verzeichnen. Und auch als die Revolution begann, konnte sie noch viele Menschen überraschen, war doch hier das Zentrum des Aufstandes, in jener Stadt, deren Bevölkerung bis dahin als apolitisch und, bei weiten Teilen der libanesischen Gesellschaft, auch als ausgesprochen rückständig gegolten hat. Dass dieser Aufbruch von den veritablen Krisen des Landes, zu welchen diese Stadt nicht beigetragen hat, jäh gebrochen wurde, zählt wohl zu den traurigsten der vielen traurigen Kapitel aus dem Libanon der Gegenwart.

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