Am Ende doch die Religion?

Die Zedernrepublik war schon immer ein Ort, an dem verschiedene Religionen und noch viel mehr Konfessionen aufeinander treffen. Dabei hat es, wie sollte es auch anders sein, immer wieder Auseinandersetzungen und Kriege gegeben. Heute scheint die Krise andere Ursachen zu haben, und der oft gescholtene Konfessionalismus, die Praxis, Politik anhand der religiösen Zugehörigkeiten auszurichten, ist auch bei vielen Libanesen mittlerweile verpönt. Doch reicht diese Abneigung auch weit genug oder wird das Land noch immer von seinen althergebrachten Konfliktlinien bestimmt?

Als Frankreich vom Völkerbund die offizielle Genehmigung erhielt, das Mandat über Syrien und den Libanon zu übernehmen, war der Erste Weltkrieg vor gerade zwei Jahren beendet. Das Mandatsgebiet wurde aufgeteilt, sechs Einzelstaaten sollten so entstehen, eines davon Großlibanon, welcher später, nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einem unabhängigen Staat geworden ist. Maßgeblich beteiligt bei der Entstehung dieses Gebildes war damals die maronitische Kirche, welche die Chance sah, im islamisch geprägten Nahen Osten einen Staat mit christlicher Bevölkerungsmehrheit zu erschaffen. Dies war auch auf Seiten der französischen Rechten eine entscheidende Motivation zum Aufbau dieses Landes. Konsequenterweise verstehen sie sich bis heute als einen Unterstützer eines unabhängigen libanesischen Staates.

Für einige Jahrzehnte konnte dieses Konstrukt sich einer gewissen Stabilität erfreuen und profitierte stark von seiner politischen und kulturellen Nähe zu Europa. Das „Paris des Nahen Ostens“ war Magnet für viele Mitglieder der High-Society Europas, der Wohlstand war verhältnismäßig groß. Jedoch haben die Konflikte der Region, allen voran der Kampf ums Heilige Land zwischen Israel und Palästina, das Land immer wieder mit einbezogen, ohne dass es viel dagegen machen konnte. Auch hier war und ist die Religion bis das bestimmende Element für allerlei Konflikte gewesen.

1975 schließlich brach der Libanesische Bürgerkrieg aus, welcher 15 Jahre währen sollte und eine Unzahl an kleineren und größeren Kriegsparteien sich gegenseitig hat bekämpfen lassen. Ohne übergeordnete Instanz im Land, unter welcher sich die Menschen hätten sammeln können, bezog man sich auf sein direktes Umfeld, auf die Familie und die Mitglieder der Religionsgemeinschaft. Am Ende stand eine verwundete Gesellschaft, und es war nicht selbstverständlich, dass sich das Land verhältnismäßig erfolgreich hat entwickeln können. Großen Anteil daran hatte auch Rafik Hariri, ein sunnitischer Muslim aus Sidon, welcher sich in Saudi-Arabien zu einem der reichsten Männer der Welt entwickelte und bereits während des Krieges Anstrengungen unternahm, diesen zu beenden. So war er am Vertrag von Taif, dem Friedensabkommen für das Land, maßgeblich beteiligt und auch federführend beim Wiederaufbau von Beirut. Was ihn von den meisten anderen Politikern des Landes damals wie heute unterschied war seine Unterstützung für die Armen nicht nur seiner Konfession, sondern im gesamten Libanon. Vielleicht brauchte es ein Mitglied einer Minderheit in einer Stadt, wie es Sunniten in Sidon sind, um eine solche Politik durchzuführen.

2005 wurde er durch eine Autobombe ermordet, und erst im letzten Jahr wurde Anzeige erhoben gegen mehrere Verdächtige, darunter auch Mitglieder der Hisbollah. Ob es jedoch eine direkte Beteiligung der Gruppe an dem Anschlag gegeben hat, ist bis heute unklar. Die nach seinem Tod erfolgte Zedar-Revolution befreite das Land zwar von den syrischen Besatzern, welche seit Ende des Bürgerkrieges im Libanon präsent gewesen sind, jedoch war dies auch ein neues Zeichen für den Machtkampf zwischen den Fraktionen, welcher immer wieder mit Gewalt ausgetragen wird.

Neben diesen Kämpfen haben die Führer der einzelnen Fraktionen es nach dem Krieg aber geschafft, ihre Interessen durchzusetzen und, insoweit es um die Anhäufung von eigenem Vermögen und die Ausbeutung der restlichen Bevölkerung geht, miteinander auszukommen und durchaus auch zu kooperieren. Nach Jahren dieser Politik durchlebt der Libanon jetzt, wie so oft erwähnt wird, eine der weltweit schwersten Wirtschaftskrisen seit 1850. In nur zwei Jahren ist das BIP des Landes um schätzungsweise 40% eingebrochen, ohne Kriege, ohne Kämpfe, im Gegenteil, durch die Zusammenarbeit all der Sieger aus dem Bürgerkrieg. Diesen Zustand auf die Religion zu führen wäre irrsinnig, und doch verhindert sie, durch das tiefe Misstrauen der Libanesen zueinander, dass eine geeinte politische Bewegung daran etwas ändern könnte. Zu stark sind auf absehbare Zeit die Bande zwischen der Bevölkerung und ihren Führern, die sie im Notfall schützen können, was sonst kein anderer vermag.

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