Fast elf Monate nach der katastrophalen Explosion im Hafen von Beirut, nachdem schon niemand mehr ernsthaft damit gerechnet hatte, gibt es jetzt tatsächlich so etwas wie einen Fortschritt in der juristischen Aufarbeitung des Ereignisses.
Im Februar wurde der zuständige Richter von den Untersuchungen abgezogen. Er hatte mehrere Mitglieder des Parlaments beschuldigt, eine Mitverantwortung zu tragen und die Aufhebung ihrer Immunität gefordert. Damit hatte er sich, so die allgemeine Interpretation, allzu mächtige Feinde in dem Land gemacht.
Umso überraschender war daher die gestrige Nachricht dass der neue Richter, Tarek Bitar, ebenfalls die Parlamentsmitglieder ins Visier genommen hat. Im Blickpunkt sind dabei insbesondere zwei Mitglieder der schiitischen Amal-Bewegung, der ehemalige Finanzminister Ali Hasan Khalil sowie Ghazi Zeaiter, früher einmal Minister für öffentliche Bauvorhaben. Der dritte Parlamentarier ist Nouhad Machnouk, ehemaliger Innenminister von der sunnitisch dominierten Partei der Zukunftsbewegung.
Neben diesen Abgeordneten wurden vier weitere Personen als Hauptverdächtige genannt, allesamt in hohen Positionen des Sicherheitsapparats und des Militärs. Angeklagt wurden zudem wegen krimineller Fahrlässigkeit, nicht wegen vorsätzlichen Mordes, wie die bisher genannten, der geschäftsführende Premierminister Hassan Diab sowie der Minister für öffentliche Arbeit, Youssef Fenianos. Aus der Untersuchungshaft entlassen wurden wiederum zwei der weniger hoch gestellten Persönlichkeiten, welche zuvor für die Katastrophe verantwortlich gemacht wurden.
Inwieweit dieser Umschwung in den Untersuchungen auch zu realen Konsequenzen für die beschuldigten Politiker führen wird, bleibt vorerst abzuwarten. Die bisherigen Erfahrungen lassen jedoch nicht darauf schließen, dass die Angeklagten auch wirklich verurteilt werden bzw. ihre Strafe tatsächlich absitzen müssen.