Zu den tieferliegenden Ursachen des Staatszerfalls im Libanon zählt auch die allgegenwärtige Korruption. Doch warum ist das Land so anfällig dafür?
Zunächst einmal ist hier das gesamte Regierungssystem zu nennen. Nach dem Bürgerkrieg suchte man nach einem neuen Weg, um dem Land mehr Stabilität zu verleihen. Die Vielzahl an unterschiedlichen Konfessionen, 18 offiziell, hat immer wieder zu Kämpfen und Kriegen geführt.
Durch eine Aufteilung der Machtpositionen zwischen den großen Gruppierungen, den Christen, Sunniten und Schiiten, erhoffte man sich, solche Kämpfe in Zukunft zu verhindern oder wenigstens einzuhegen. Leider hat dieses System dazu geführt, dass die Führungsebenen der einzelnen Konfessionen praktisch zusammen arbeiten, um sich an dem Land zu bereichern.
Diese Politik auf sektiererischer Grundlage ist von Natur aus anfällig für Korruption, und dass die Staatseliten aus ehemaligen Warlords, ihren Familien und einigen wohlhabenden Geschäftsleuten besteht, hat die Situation noch verschlimmert. Der Staat wurde so zu einer Geldquelle für die Mächtigen, und nach Jahrzehnten dieser Politik sind die Konsequenzen immer deutlicher zu sehen.
In einem neuen Papier des britischen Chatham House wird dieses System als Mischung aus Kleptokratie und Kakistokratie beschrieben. Unter einer Kleptokratie bezeichnet man ein Herrschaftssystem, bei welchem die Mächtigen sich an dem Eigentum der Untergebenen bereichern können. Kakistokratie heißt schlicht die Herrschaft der Schlechtesten.
Während sich die herrschenden Eliten also an dem Land und seinen Institutionen bereichern und unfähige Mitarbeiter auf verantwortungsvolle Posten setzen, hat der Staat viel von seiner Substanz verloren und die gegenwärtige Krise ermöglicht.
Aufgrund dieser Ausgangslage gibt es nur wenig Hoffnung auf eine Besserung der Lage. Zwar gibt es eine Reihe von Gesetzen, welche Korruption verhindern sollen, das älteste davon aus 1953. Da die Politiker selber korrupt sind, werden sie umfangreiche Untersuchungen jedoch nicht zulassen. Ein Gesetz, welches 1999, nach dem Bürgerkrieg, erlassen wurde, war sogar von Anfang an so konzipiert, dass es sich nicht umsetzen ließ. Die Ermittlungen zur Explosion vom 04. August vergangenen Jahres sind ein eindrucksvolles Beispiel für die katastrophale Aufarbeitung solcher Verbrechen.
Es gibt verschiedene Methoden, den Umfang und Einfluss von Korruption zu messen. Da dies natürlich schwierig ist, wird häufig das gefühlte Maß an Korruption innerhalb eines Landes als Referenz herangezogen. Dabei schneidet der Libanon immer schlechter ab. War es 2012 noch auf Platz 128, im Vergleich mit den anderen Staaten der Welt, ist es 2020 auf Rang 149 von 179 abgerutscht. Es gibt also nur 30 Länder auf der Welt, in denen die Bevölkerung das Maß an Korruption höher bewertet, als es die Libanesen in ihrem Land machen.
Während der internationale Druck auf die Eliten steigt, um dem Land Reformen und eine neue Regierung zu ermöglichen, ist mittlerweile scheinbar niemand mehr davon überzeugt, dass diese Sieger aus dem Bürgerkrieg dabei noch eine große Rolle spielen sollten. Immerhin sind sie die Hauptverantwortlichen für die aktuelle Situation. Einen erfolgreichen Kampf gegen die Korruption wird es mit ihnen sicherlich nicht geben.