Grüne Außenpolitik


Die Partei Bündnis 90 / die Grünen haben einen ersten Programmentwurf für die Bundestagswahlen im September 2021 veröffentlicht. Bis zur endgültigen Fassung wird es noch einen guten Monat dauern, aber viele Punkte sollten sich hier bereits ablesen lassen. Wie also denkt die Öko-Partei der Deutschen über die Außenpolitik des Landes?

Seit 2014, dem Konflikt um die Krim und die Ostukraine sowie dem Aufstieg der Terrormiliz des Islamischen Staates im Nahen Osten, herrscht ein anderer Wind in der Formulierung der deutschen Außenpolitik. Der damalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck forderte bei der Münchener Sicherheitskonferenz 2014 von Deutschland „mehr zu tun für jene Sicherheit, die ihr von anderen seit Jahrzehnten gewährt wurde.“ Diese Erkenntnis wurde noch einmal geschärft 2016, als Donald Trump die Wahlen in den USA gewann. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“, wie Merkel im Jahr darauf öffentlich verkündete. In dieser Linie argumentieren auch die Grünen. „Es ist Zeit, wieder eine aktive Außenpolitik zu betreiben und als gestaltende Kraft voranzugehen“, und dies solle multilateral, europäisch und transatlantisch geschehen. Abgesehen von der im Grunde traurigen Tatsache, dass dies nach sieben Jahren offenbar immer noch nicht der Fall ist, stellt sich hier natürlich die Frage, wie die Partei, welche in diesem Zeitraum niemals Teil der Regierung war und damit nicht primär für diese Entwicklung verantwortlich ist, diesem Anspruch gerecht zu werden sucht. Was also sind ihre konkreten Ansatzpunkte?


Als zentrale Schlagwörter ihres außenpolitischen Programms verwendet die Partei zunächst einmal das Konzept einer Klimaaußenpolitik sowie die Betonung des Multilateralismus. Insbesondere unter US-Präsident Biden dürfte es in diesem Bereich eine enge Zusammenarbeit geben, sollten die Grünen ihre Vorstellungen durchsetzen können. Der Verweis auf den Multilateralismus teilt sie dabei mit fast allen anderen Parteien des Deutschen Bundestages und reflektiert die realen außenpolitischen Verhältnisse des Landes, welches auf die Kooperationen mit verschiedenen Partnern angewiesen ist, um Fortschritte zu erzielen.

Ihre geostrategischen Vorstellungen werden in einzelnen Kapiteln zu jeweils unterschiedlichen Regionen abgehandelt. Innerhalb Europas sieht die Partei die EU-Erweiterungspolitik als „eine Erfolgsgeschichte“, welche sie auch fortzusetzen gedenkt. Konkret werden hierbei der westliche Balkan und die Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien erwähnt. Hier bahnt sich ein Konflikt an zwischen Deutschland, in welchem die wichtigsten Parteien eine Erweiterung der EU wünschen, und Frankreich, welches zusehends skeptischer auf diese Art der Politik schaut. Eine Fortsetzung dieser Strategie wird immer unwahrscheinlicher.

Zudem befürwortet die Partei eine neue Politik im Mittelmeerraum, welche „gemeinsam Entwicklungspotenziale für die Region realisiert und sich zugleich den enormen Herausforderungen stellt: Terrorismus, autoritäre Regime, Staatszerfall.“ Leider findet sich nicht ein Wort darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Nicht einmal potenzielle Partnerländer für dieses umfangreiche Projekt werden genannt. Letztlich gibt es hier keine geordnete Strategie.

Die Beziehungen zu den USA bezeichnet das Programm als einen „Stützpfeiler der deutschen Außenpolitik“, welcher jedoch erneuert werden müsste. Dies dürfte ein Verweis auf Trump gewesen sein und unter Biden wohl einen Teil seiner Relevanz verlieren.

China bezeichnet die Partei als „Europas Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale.“ Sie fordert dabei klare Änderungen in Pekings Verhalten gegenüber Taiwan und Hongkong und in Tibet und Xinjiang, sieht aber auch eine Notwendigkeit zur Kooperation, insbesondere auf dem Gebiet der Klimapolitik. Angenehm ist hierbei die fehlende Erwähnung der militärischen Konflikte im Pazifik, da einige bereits ein stärkeres deutsches Engagement in der Region einfordern, was die Fähigkeiten des Landes jedoch weit übersteigern würde. Dass im Gegenzug sowohl der Indische Ozean als auch die Landkorridore des Belt and Road – Projektes, inklusive des Irans, ebenfalls keine Erwähnung finden, obwohl diese von vitaler Bedeutung für die Handelsverbindungen Europas sind, zeugt wiederum von mangelnder Weitsicht in diesem Bereich, womit die Partei in Deutschland jedoch nicht alleine steht.

In Bezug auf Russland stehen die Grünen auf einer Linie mit Washington, möchten den Austausch zu der „mutigen“ Zivilgesellschaft des Landes stärken und den Bau der Pipeline Nord-Stream 2 bedingungslos streichen. Damit operieren sie auch weiterhin ganz in der Tradition der ersten Grünen Regierungsbeteiligung von 1998 bis 2005. Ähnlich kritisch klingt das Programm auch gegenüber der Türkei und ihrer Regierung.

In Bezug auf Israel sollte man sich einen längeren Abschnitt im Original ansehen. Dazu heißt es:


„Für Frieden und Sicherheit braucht es eine Zweistaatenregelung mit zwei souveränen, lebensfähigen und demokratischen Staaten für Israelis und Palästinenser*innen. Die angekündigten Wahlen in den palästinensischen Gebieten sind ein positives Zeichen. Die Chance der politischen und wirtschaftlichen Abkommen Israels mit arabischen Staaten wollen wir nutzen, um einen multilateralen Friedensprozess wieder aufleben zu lassen und einen langfristigen Frieden in der Region zu schaffen. Europa soll sich hierfür eng mit der neuen US-Regierung koordinieren.“

Die Kämpfe im Laufe der letzten Tage haben gezeigt, wie wenig diese Strategie mit den realen Gegebenheiten vor Ort zu tun hat. Die Zweistaatenlösung ist weiter entfernt denn je und war ohnehin keine realistische Option, die Wahlen sind in letzter Minute abgesagt worden und haben die Spaltung innerhalb der Palästinenser noch vertieft und ein Friedensprozess ist schon seit Jahren nicht mehr ernsthaft angegangen worden. Zudem zeigt sich die US-Regierung derzeit vollkommen planlos und hat generell sehr viel von ihrem einstigen Einfluss in der Region verloren.

In Bezug auf Afrika fordert die Partei ein Umdenken, weg von den vermeintlich postkolonialen Ansätzen hin zu einer gemeinsamen Strategie, in welcher Zukunftsthemen in den Mittelpunkt gehören. Dabei bleibt sie jedoch ebenso wage wie die traditionelle deutsche Außenpolitik in der Region. Die Sahelzone mit ihren vielfältigen und uns immer stärker bedrohenden Problemen wird nicht einmal erwähnt, und von einem Wettbewerb der Weltmächte um diesen Kontinent ist auch nichts zu lesen. So bleibt zu befürchten, dass Deutschland auch weiterhin blind nach Süden schaut, welcher für Europa immer wichtiger wird.

Was wirklich ärgerlich ist an diesem Wahlprogramm ist der Umstand, dass die Strategien gegenüber Themen wie dem Nahostkonflikt, dem Verhalten Chinas im Inland und seiner Umgebung oder der russischen Innenpolitik relativ genau ausformuliert worden sind, obwohl eine deutsche Regierung in diesen Bereich fast keinen Einfluss nehmen kann und es auch nicht unsere vitalen Interessen berührt. Andererseits werden das Mittelmeer und die „sicherheitspolitische Verantwortung“ zwar in dem Text erwähnt, bleiben jedoch so wage, dass sich daraus keine Strategie ablesen lässt. So kommt der Verdacht auf, der Fokus werde falsch gesetzt (oder kommuniziert) und ginge damit „ein Stück weit“ an der Realität vorbei.

Zusammenfassend lässt sich schließlich sagen, dass die Grünen in den meisten Punkten die traditionellen Linien der deutschen Außenpolitik fortzuführen gedenken. Dies betrifft sowohl die USA und Russland, aber auch die Beziehungen innerhalb Europas und seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Auch dürfte das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten unter einer Regierung der Demokraten sehr gut sein, während sich gegenüber Frankreich einige Konfliktpunkte anbahnen. Natürlich verwenden auch sie das Credo, die EU müsse „selbst mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen.“ Wie dies jedoch ohne einen Zuwachs an militärischen Kapazitäten geschehen soll, bleibt ein Rätsel. Vielleicht sind wir in sieben Jahren schlauer.

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